Von Franziska Rozicki
Es ist ein schwüler, zum Eis-Essen und Füße-in-die-Fulda-Halten einladender Sommertag kurz vorm Ende der Vorlesungszeit, und doch sind alle Teilnehmenden unseres Philosophie-Tutoriums anwesend. Der kleine Raum ist voll; hätten wir heute wieder nur über die Abhandlungen von Spinoza oder Foucault gesprochen, wären wir wohl wieder nach draußen gegangen, an einen schattigen Platz. Aber heute bekommen wir das Feedback zu den Texten, die wir zur Vorbereitung auf die Prüfungsleistung geschrieben haben – unsere Probe-Rekonstruktionen. Ich bin gespannt, denn ich habe bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wirklich verstanden, was genau eine Rekonstruktion eigentlich ist. Meinen Text habe ich, weil er nicht bewertet wird (aber eigentlich vor allem, weil ich nicht genug Zeit dafür eingeplant hatte), kurz vor der Abgabe einfach so runtergeschrieben, in der Hoffnung, die Kritik würde mir dann vermitteln, worauf ich bei der Textsorte achten muss. Also: Gespanntes Erwarten. Unsere Tutorin gibt schließlich die Texte heraus, sagt kurz ein paar allgemeine Worte – und bittet dann mich, meine Rekonstruktion vorzulesen, als positives Beispiel. Wie bitte?
Ich weiß: Siebtes Studienjahr, bereits ein Bachelorabschluss und ein Job in der Schreibwerkstatt – vor diesem Hintergrund kommt meine Überraschung womöglich überraschend. Aber lasst es mich erklären: Nach sechs Jahren Naturwissenschaften begann für mich mein Zweitstudium in den Geisteswissenschaften wie ein Aufenthalt in einem mir fremden Land: Ich wollte mich erst einmal mit der Kultur vertraut machen, um nicht als (fach)fremd aufzufallen. Aus meiner Arbeit und auch durch den Austausch mit anderen Studierenden weiß ich immerhin, dass jeder Fachbereich seine eigene Schreibkultur hat. Es existieren nicht nur zahlreiche unterschiedliche, mitunter exotische Textgattungen und Aufgabenstellungen, sondern auch sehr verschiedene Vorstellungen über Stil, Ausdruck und Formalia: Gliedere ich den Text nach IMRAD-Schema oder denke ich mir einen eigenen logischen Aufbau aus? Zitiere ich in Fußnoten, numerisch oder im Text? Und wie drücke ich meine eigenen Ideen zum Thema aus?
Nun hatte ich mich offenbar so sehr in die Unsicherheit über Fachkonventionen hineingesteigert, dass mir erst das positive Feedback wieder verdeutlichte, welche wichtigen Gemeinsamkeiten alle Fachbereiche in Sachen wissenschaftliches Arbeiten haben: Was etwa in meinem Text positiv aufgefallen war, waren mein nachvollziehbarer und kritischer Umgang mit dem Originaltext und dass ich den roten Faden im Text deutlich gemacht hatte. Insofern kann man schon sagen, dass sich mein Hintergrund doch als nützlich erwiesen hatte; und dennoch ging es mir in der Philosophie in einiger Hinsicht wie einem richtigen Ersti: Wir alle müssen uns nach und nach ans Studienfach herantasten, uns durch den Dschungel unterschiedlicher Aussagen über Anforderungen bei Prüfungs- und Studienleistungen hindurchschlagen, die Dozent*innen zu ihren Erwartungen und die Tutor*innen zu ihren Erfahrungen befragen, und vielleicht doch noch den einen oder anderen Schreibratgeber in die Hand nehmen, um irgendwann wirklich zu verstehen, was ein Prof meint, wenn er sagt: „Schreiben Sie über einen der Texte in Moodle eine fünfseitige Rekonstruktion.“